Das braucht Mut: Warum diese SVP-Nationalrätin alleine gegen ihre ganze Fraktion gekämpft hat

Die SVP-Fraktion stimmte im Nationalrat geschlossen für Turbo-Öffnungen- mit einer Ausnahme: Die Thurgauerin Verena Herzog zog beim Prestigeprojekt ihrer Partei nicht mit. Ein kurzes Gespräch in der Wandelhalle.

Es sollte der Höhepunkt des Aufstandes werden, den die SVP gegen die angebliche Coronadiktatur in Bern probte. Es war ein Prestigeprojekt der Fraktion: Der Bundesrat sollte per Covid-Gesetz gezwungen werden, die Restaurants und Fitnesscenter zwingend am 22. März wieder zu öffnen. Um fast jeden Preis, unabhängig von den Fallzahlen. Nur wenig schien der Partei wichtiger.

Die gesamte SVP-Fraktion stimmte dafür. Die ganze Fraktion? Nein. Eine Frau wehrte sich: Verena Herzog, 65, dreifache Mutter, ausgebildete Kindergärtnerin, seit 2013 im Nationalrat. Die Thurgauerin war die einzige SVPlerin, die sich gegen das fixe Öffnungsdatum aussprach. Sie stimmte mit SP, Grünen, FDP und Mitte. Gegen ihre eigene Partei.

«Ich kann dies nicht verantworten»

Straff hierarchisch organisiert, an Alphatieren reich: Das ist die SVP. Hier Paroli zu bieten: Das braucht Mut oder Nerven aus Drahtseilen. Könnte man meinen. Doch Verena Herzog steht zwei Tage später gelassen und mit sich im Reinen in der Wandelhalle. Sie habe ihren Entscheid, wie dies üblich sei, im Vorfeld der Fraktion mitgeteilt. «Es gab gar keine Probleme», sagt sie und lächelt. «Leider konnte ich sonst niemanden in der Fraktion überzeugen.» Freundlich und bestimmt erklärt sie:

«Man kann doch kein Datum vorschreiben. Ob man öffnen kann oder nicht, darüber entscheiden die epidemiologische Lage und die Belegungszahlen auf den Intensivstationen.»

Herzog ist Mitglied der Gesundheitskommission. Sie ist kein Polteri, spricht ruhig und sachlich. Sie zitiert Zahlen und Studien. Sie wolle auf keinen Fall einen Jojo-Effekt, ausgelöst durch zu frühe Öffnungen, sagt sie. «Als Gesundheitspolitikerin kann ich dies nicht verantworten.» Derzeit könne man in den Spitälern wichtige Operationen nachholen, die zuletzt wegen der überbelegten Intensivstationen aufgeschoben werden mussten. Dies dürfe man nicht durch steigende Ansteckungszahlen gefährden, sagt sie – und vergleicht die Pandemiebewältigung mit dem Autofahren: «Man kann nicht erst auf die Bremse treten, wenn man in der Wand ist.»

Trotzdem: Nicht zufällig ist die Thurgauerin in der SVP

Es ist jetzt allerdings nicht so, dass Herzog bezüglich Lockerungen zu den Hardlinern gehören würde. «Man muss es differenziert» ansehen, sagt sie. Bars, in denen man sich eher näher kommt, würde sie noch nicht öffnen. Es spreche aber nichts dagegen, dass man wieder in Speiserestaurants mit Schutzkonzepten gehen könne.

Differenzen bei den Coronalockerungen hin oder her. Dass Verena Herzog in der richtigen Partei ist, zeigt der Blick auf ihr Smart-Vote-Profil. In den Bereichen Migrationspolitik und Law & Order kann man kaum härtere Positionen einnehmen. Sie hat bei Abtreibungsdebatten konservative Positionen eingenommen und sie enerviert sich, wenn Masturbation im schulischen Aufklärungsunterricht zu offensiv thematisiert werden soll. Es gibt Werte, die will Herzog laut ihrer Homepage «nicht ideologischen geprägten Modeströmungen» opfern.

Der Druck war richtig, über das Wort Diktatur kann man streiten

Das Wort Diktatur würde Herzog zwar nie verwenden. Aber sie findet es richtig und nötig, dass ihre Partei mächtig Druck gemacht hat. Zu viel laufe beim Bund falsch. Dann zählt sie auf: Softwareprobleme, zu wenig Impfstoff, das Maskendebakel. «Der Bund ist zu wenig offen für Innovationen», sagt Herzog. Sie fordert ein Vorwärtsmachen bei der medikamentösen Therapie. Und sie ist für das Tragen der FFP-2-Masken, die sie selbst im Bundeshaus aufgesetzt hat. Herzog:

«Der Bund hat auch von diesen Masken zu wenig beschafft. Nur deshalb ist er so zurückhaltend.»

Gegen Ende des Gespräches sagt Herzog: Sie hadere manchmal mit den Mechanismen der Politik. Diese neige dazu, viel zu kurzfristig zu denken und zu handeln. «Ich will nicht kurzfristig denken», begründet sie ihren Covid-Entscheid. Und: «Am Ende des Tages muss ich in den Spiegel schauen können.»

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