Votum im Nationalrat: Experimentierartikel als Grundlage für Studien zur regulierten Cannabis-Abgabe

Zur gesamten Debatte: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=44104#votum3

Bereits in der Sommersession ist es unserem Nationalratskollegen Mauro Tuena bei einer wortwörtlich gleich lautenden Motion von Roberto Zanetti gelungen, das „offenkundige Bedürfnis nach wissenschaftlich abgestützten Entscheidungsgrundlagen“ zu enttarnen und unseren Rat von der Ablehnung dieses Experimentierartikels zu überzeugen. Heute liegen uns Motionen mit diesem Anliegen gleich im Multipack vor: Gleich mit vierfacher Dosis wollen heute nochmals Bundesparlamentarier durch die Hintertür den Volkswillen aushebeln, obwohl 2008 über 68 Prozent der Stimmbevölkerung ein Nein zur Aufweichung des Betäubungsmittelgesetzes in Sachen Cannabis in die Urne legte.
Äusserst befremdend ist auch das Vorgehen des Bundesrates, der bereits am 4. Juli 2018, kurz vor den Sommerferien, einen fertig ausgearbeiteten „Experimentierartikel“ mit ausführlicher Verordnung und einem 27-seitigen erläuternden Bericht präsentiert und dazu ein Vernehmlassungsverfahren eröffnet hat. Die heutigen Abstimmungen über die vier Motionen sind somit eigentlich nutzlos geworden. Wir stellen fest, dass der Bundesrat damit den Entscheid unseres Rates vorweggenommen und damit unser parlamentarisches Zweikammersystem desavouiert hat.
Aus folgenden sechs Gründen bitte ich Sie, die vier Motionen abzulehnen:
1. Cannabis ist und bleibt eine psychoaktive, gesundheitsschädigende und die Psyche beeinflussende Droge und untersteht deshalb dem Betäubungsmittelgesetz.
2. Die Schädigung der Lunge durch Cannabis ist gegenüber der Schädigung der Lunge durch eine normale Zigarette um ein Vielfaches höher, da Hanf normalerweise ohne Filter geraucht wird und der Rauch viel tiefer inhaliert wird, damit auch eine möglichst grosse Wirkung erzeugt wird.
3. Cannabis ist vor allem für Jugendliche schädigend, da die Hirnentwicklung erst mit 25 Jahren abgeschlossen ist. Bei den Pilotversuchen mit Cannabis sollen aber bereits 18-Jährige teilnehmen können. Schon rein aus diesem Grund ist es eigentlich nicht zu verantworten, solche Experimente zu machen. Regelmässige Kiffer haben zudem grosse Konzentrationsschwierigkeiten und erleiden einen Verlust an Merkfähigkeit.
4. Bei jungen Menschen kann Cannabiskonsum Psychosen oder Schizophrenie auslösen und in der Folge zu grossen Schwierigkeiten in der Familie, in der Schule, im Lehrbetrieb und bei der Arbeit in den Firmen führen. In einer exakten wissenschaftlichen Studie aus dem Jahr 2017, an der das Universitätsspital Lausanne beteiligt war, konnten Forscher mit epidemiologischen Daten aus über vierzig Jahren belegen, dass Cannabiskonsum das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, um 37 Prozent erhöht. Schulabbruch, Lehrabbruch und oft jahrelanger, immer wiederkehrender Aufenthalt in Kliniken sind die Folge. Ich weiss von Menschen, die ein Leben lang – wenn sie längst nicht mehr süchtig waren und ein normales Leben zu führen versuchten – aufgrund ihres früheren Cannabiskonsums immer wieder von Psychosen heimgesucht werden. In den Schweizer Suchthilfeeinrichtungen hat sich im Verlauf der letzten zehn Jahre der Prozentsatz der unter 25-Jährigen, bei denen die Hauptproblemsubstanz Cannabis ist, von 33 Prozent auf 80 Prozent massiv erhöht. Die Anzahl Jugendlicher, die im Zusammenhang mit Cannabiskonsum wegen Schizophrenie und anderen Psychosen eine psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen müssen, ist nach ärztlichen Aussagen besorgniserregend hoch.
5. Cannabissüchtige gefährden zum Beispiel wegen mangelnder Konzentrationsfähigkeit nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben ihrer Mitmenschen – sei es im Strassenverkehr, bei einer verantwortungsvollen Arbeit im Beruf oder in der Freizeit. Schon heute müssen Personen, die nach Cannabiskonsum im Strassenverkehr erwischt werden, das Billett abgeben und anschliessend eine einjährige Abstinenzzeit nachweisen, da sonst die Fahrfähigkeit nicht garantiert ist. Ich nehme an, Herr Bundespräsident Berset, dass alle Teilnehmenden an den Cannabis-Pilotversuchen ihren Führerausweis während dieser Zeit abgeben müssen, um die öffentliche Sicherheit nicht zu beeinträchtigen. Leider konnte ich keinen entsprechenden Artikel in der Verordnung finden.
6. Auch das Suchtpotenzial ist nicht zu vernachlässigen. Es liegt ähnlich wie beim Alkohol bei etwa zehn Prozent; jedoch bei den unter 18-jährigen Neukonsumenten bei 17 Prozent, bei täglichem Konsum – die Angaben variieren je nach Studie – zwischen 25 und 50 Prozent. Es ist bekannt, dass rund 70 Prozent der Süchtigen von harten Drogen mit Cannabis begonnen haben.
Nun werden Sie sagen: Ja, genau aus diesen Gründen muss man dringend etwas ändern und nach innovativen Lösungen suchen, da die jetzige Drogenpolitik versagt hat. Ja, es läuft vieles nicht gut. Das hat vor allem damit zu tun, dass Cannabis von zu vielen Politikern und den Medien verharmlost wird. Man predigt, Alkohol und Zigaretten seien viel schlimmer, und lobt den Cannabis in den Himmel. Mit solchen Aussagen kann keine wirkungsvolle Prävention gemacht werden. Auch fehlt es an Vorbildern, die sich vom ach so problemlosen Kiffen distanzieren.
Zudem wurde die Prävention weniger als stiefmütterlich behandelt. Die Politik lancierte in den letzten Jahren zwar millionenschwere Antiraucherkampagnen, hat es aber mehrheitlich sträflich vernachlässigt, zielgerichtete Prävention mit z. B. ehemaligen Süchtigen zu forcieren, die vor Schulklassen und an Elternabenden eins zu eins über ihr Schicksal und die jahrelangen, beeinträchtigenden Folgen berichten.
Und die Repression müsste viel gezielter, vor allem in der Umgebung von Schulhäusern, auf Pausenplätzen und in Freizeitanlagen, erfolgen, wo ausser in Privatschulen häufig einfach darüber hinweggeschaut wird. Jeder Schüler und jede Schülerin ab der Sekundarstufe weiss leider genau, wo in kürzester Zeit welcher Stoff beschafft werden kann. Da stimmt doch etwas nicht!
Stattdessen will man, abgesegnet von der Nationalen Ethikkommission, mit – wohlverstanden – Betäubungsmitteln am Menschen experimentieren. Mit einer sogenannt wissenschaftlichen Studie will man an bis zu 5000 jungen, gesunden Erwachsenen – Leute, die schon Cannabis konsumieren, aber noch gesund sind – Cannabis zu Genusszwecken verkaufen. Dabei ist das eigentlich gesetzlich verboten. Die gesundheitlichen Auswirkungen sollen überwacht, die Behandlung sichergestellt und die Versuchsteilnahme nötigenfalls abgebrochen werden. Das tönt nach menschenwürdiger Absicherung eines menschenunwürdigen Versuchs. Das heisst aber auch: Immer wenn sich ein Fall dahingehend entwickelt, dass die Studienergebnisse beeinträchtigt werden könnten, wird interveniert. Das Manipulationsinstrument auf der wissenschaftlichen Seite ist also auch schon da.
Ich habe gesagt, ich spreche nur einmal, aber das Votum wird ein bisschen länger. (Remarque intermédiaire du président: Je vous ai donné huit minutes, ce qui correspond au temps accordé à la minorité.) Meine Damen und Herren Motionäre, ich frage Sie: Können Sie diesem Experiment mit jungen, gesunden Menschen zustimmen? Können Sie das verantworten? Ich nicht! Der einzige Vorteil gegenüber der illegalen Beschaffung von Cannabis ist, dass den Konsumenten sauberer Cannabis mit kontrolliertem THC-Gehalt abgegeben wird und dass ihr Zustand überwacht werden kann. Aber Cannabis ist und bleibt ein Gift, auch wenn zweifellos viel gefährlichere Drogen existieren.
Auch wie sich die Cannabisabgabe auf die Drogenszene auswirkt, (Président: Je vous demande d’accélérer, Madame Herzog, s’il vous plaît!) wissen wir eigentlich schon. Ich kürze nun etwas ab. Mit dem Schwarzmarkt hat man Erfahrungen aus anderen Ländern. Man weiss einfach jetzt schon: Die Dealer werden auf die jüngeren Leute zugehen, die nicht am Versuch teilnehmen, und werden noch mehr härtere Drogen verkaufen.
Ich komme zum Schluss und möchte Sie einfach nochmals aufrufen: Überlegen Sie gut: Wollen Sie Experimente mit Jugendlichen?
Ich bitte Sie wirklich, die vier gleichlautenden Motionen abzulehnen. Wir können keine Millionen für Menschenversuche mit Kiffern verantworten.

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