Protokoll des Grossen Rates: Interpellation von Ruedi Zbinden und Verena Herzog

"Stärkung der praktischen Ausbildungsfächer an den Schulen" (08/IN 30/152)

Kurze Erklärung der Interpellanten:

Verena Herzog, SVP: "Lernen ist ein ganzheitlicher Vorgang. Diese Ganzheitlichkeit der Entwicklung von Kopf, Herz und Hand ist nach wie vor die pädagogische Grundlage für das Lernen in unseren Schulen", ist auch der Regierungsrat überzeugt. Kantonsrat Zbinden und ich danken dem Regierungsrat für die Beantwortung unserer Interpellation.

Handwerkliche Fächer sind nicht nur für das Handwerk wichtig. Längst ist erkannt, dass das Arbeiten mit den Händen auch den Geist und den Intellekt anregt und für Kinder und Jungendliche förderlich ist. Der Regierungsrat hat den Handlungsbedarf erkannt und erfreulicherweise erste wichtige Schritte in die Wege geleitet. Allerdings unabhängig von unserer Interpellation. Die vorläufigen Lösungsansätze sind zu begrüssen und zu erweitern. Dazu würden wir gerne zusätzliche Anregungen einbringen. Wir beantragen Diskussion.

Abstimmung: Diskussion wird mit grosser Mehrheit beschlossen.

Diskussion

Votum Verena Herzog, SVP: Der Regierungsrat hat erkannt, dass in der Umsetzung die praktische und handwerkliche Bildung weitgehend verdrängt wurde und trotz Forderungen des Lehrplanes ein Schattendasein fristet. Er gesteht, dass die heutigen Lehrpersonen nicht mehr über die gleich breite Ausbildung im Bereich Werken und Gestalten verfügen wie an Seminarien ausgebildete. In seiner Beantwortung zeigt der Regierungsrat die Bereitschaft und den Willen, sich für die praktischen Ausbildungsfächer einzusetzen und sucht vor allem in der Ausbildung der Lehrpersonen nach Lösungen. Mit Freude haben die Interpellanten zur Kenntnis genommen, dass diesbezüglich im August des vergangenen Jahres ein breit angelegtes "Hearing" stattgefunden hat. Unterdessen wurde eine Projektgruppe beauftragt, eine Problemanalyse für die Primar- und Sekundarstufe und Verbesserungsvorschläge für die Rekrutierung, Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen in den Fächern Werken textil, nichttextil und Hauswirtschaft vorzunehmen. Die Interpellanten würde interessieren, welche Fachschaften in der Projektgruppe mitarbeiten und wie die Pädagogische Hochschule Thurgau (PHTG) darin vertreten ist. Bestimmt könnten Erfahrungen der jetzigen Studentinnen und Studenten der PHTG für die Aus- und Weiterbildung in die Projektgruppe einfliessen. Für die weitere Koordination scheint uns eine angemessene Vertretung der PHTG in der Projektgruppe sinnvoll. Auch interessiert uns der Zeitplan. Wann darf mit ersten Ergebnissen und einem Bericht gerechnet werden?

Was passiert anschliessend damit? Verbesserungsvorschläge für die bereits angebotene Weiterbildung sind vermutlich die einfachsten Aufgaben. Aber um das Problem an den Wurzeln anzupacken, muss schon die Ausbildung der künftigen Lehrpersonen für Werken und Hauswirtschaft ändern. Nur wer ein gutes Fundament und gute Grundkenntnisse erarbeitet und sich in eine Materie vertiefen kann, ist fähig, damit auch die Schülerinnen und Schüler zu begeistern. Wenn eine spannende und fundierte Grundbildung in Werken und Hauswirtschaft angeboten wird und die Lernenden eine Zukunft in ihrem Berufsfeld sehen, wird es wieder einfacher, interessierte und motivierte Studentinnen und Studenten zu finden, die diese Fächer mit Freude erlernen und später mit Berufung unterrichten wollen. Davon bin ich überzeugt. Das Desinteresse für Werken und Hauswirtschaft ist durch den stetigen Lektionenabbau dieser Fächer auf der Primar- und Sekundarstufe und die dadurch entstandene Verunsicherung der angehenden Lehrpersonen, später überhaupt noch eine Arbeitsstelle zu finden, entstanden. Für uns ist unverständlich, dass 2009 mit dem Start der neuen Sekundarlehrerausbildung I an der PHTG das Fach Werken und Hauswirtschaft einfach ausgeklammert wurde. Vor allem für die künftigen Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe G müsste eine fundierte Ausbildung in Werken (früher Kartonage, Hobli und Metalli) oder Hauswirtschaft inklusive Kochen eine Selbstverständlichkeit sein. Bestimmt könnten Werkräume des Bildungszentrums Arenenberg oder des Berufsbildungszentrums Weinfelden, die mit den notwendigen Maschinen und Werkzeugen ausgerüstet sind, genutzt werden. Die Ausbildung der Studentinnen und Studenten könnte allenfalls durch Lehrmeister beispielsweise aus dem Schreiner- oder Metallgewerbe übernommen werden und wäre in Modulen vorstellbar. Ich bin sicher, dass geeignete Lösungen gefunden werden könnten. Wir finden es bedenklich, dass auf Sekundarstufe Werken und Gestalten für Schülerinnen und Schüler teilweise zum Wahlfach degradiert wurde. Vor allem auf der Sekundarstufe G müsste die Regelung hinterfragt werden. Seit ein paar Jahren wird Hauswirtschaft erst ab der zweiten Sekundarklasse unterrichtet. Wie mir Hauswirtschaftslehrerinnen mitteilten, ist dadurch die Zeit sehr knapp geworden, den Schülerinnen und Schülern einen vernünftigen Rucksack mit Hauswirtschaft, Ernährungslehre und Kochen mit auf den Weg zu geben. Zudem sei es für die Lehrerinnen auch aus pädagogischer Sicht vorher wesentlich einfacher gewesen, die noch frischen Erstklässler für das Fach zu begeistern, was sich natürlich auch positiv auf den Unterricht ausgewirkt hatte. Da heute häufig beide Ehepartner arbeiten und so auch manchmal beide Ehepartner die Hausarbeiten und das Kochen erledigen, wäre es aus dieser Sicht dienlich, das Fach Hauswirtschaft und Kochen wieder aufleben zu lassen und zu stärken. Wenn man die Ernährungsprobleme vieler Jugendlicher wie die verbreitete Fettleibigkeit oder die Zunahme von magersüchtigen jungen Frauen sieht, sollte Hauswirtschaft mit Ernährungslehre spätestens auf Sekundarstufe eigentlich zu einem Pflichtfach werden. So rege ich an, sinnvolle Hauswirtschaft ab der ersten Sekundarstufe mindestens auf freiwilliger Basis wieder anzubieten in der Hoffnung, dass auch noch genügend Lehrpersonen zur Verfügung stehen. Erlauben Sie mir einige Gedanken zur Wichtigkeit des Werkens für die berufliche Laufbahn unserer Jugend: Zwei Drittel aller schweizerischen Jugendlichen machen eine Lehre. Sie ist der Einstieg in den Beruf, der zu vielen erfolgreichen Karrieren und zur niedrigsten Jugendarbeitslosenquote in Europa führt. In keinem anderen Land nimmt die Berufslehre eine so hohe Position ein wie in der Schweiz. Zweifellos ist die duale Berufsbildung ein zentraler Erfolgsfaktor. Nachdenklich stimmte mich kürzlich ein Referat am Unternehmerforum im Zentrum Lilienberg eines Vertreters von Avenir Suisse. Es hatte den durchaus berechtigten Titel: "Die Zukunft der Berufslehre in der Schweiz – ein Auslaufmodell oder der Königsweg?" Wir Politikerinnen und Politiker tragen Verantwortung. Stellen wir die Weichen bereits in der Volksschule richtig und stärken die ganzheitliche Ausbildung und die praktischen Ausbildungsfächer; eine grundlegende Voraussetzung für den Königsweg und das duale Bildungssystem. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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